Vierte Stolpersteinverlegung in Gersfeld am 16.05.2025
Vierte Stolpersteinverlegung in Gersfeld am 16.05.2025
Stolperstein für den letzten noch lebenden vertriebenen Gersfelder verlegt
Am Freitag den 16. Mai fand in der Rhönstadt Gersfeld die mittlerweile vierte Verlegung von „Stolpersteinen“ zur Erinnerung an die in der NS-Zeit getöteten und vertriebenen jüdischen Mitbürger statt.
Der Arbeitskreis Geschichte und Denkmalpflege des Rhönklub Zweigvereins Gersfeld hat wie bereits in der Vergangenheit die Schicksale und Geschichten hinter den Vertriebenen recherchiert.
Zur Verlegung der 18 „Stolpersteine“ in Gersfeld, waren insgesamt 6 Gäste aus den USA angereist. Stacy, Brianna und Nickolas Goldner, sowie Lori und Andy Pachefsky waren als Nachfahren der Familie Goldner extra aus Wisconsin angereist, um dem Gedenken an ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern beizuwohnen.
Familie Goldner betrieb bis in die 1930er Jahre direkt neben der evangelischen Barockkirche in Gersfeld eine Gerberei mit Lederhandel und Schuhmacherbedarf. Die 7-köpfige Familie (in 3 Generationen) versuchte sich und ihr Geschäft verzweifelt in Gersfeld zu halten, musste sich jedoch dem Nazi-Terror und Boykotts beugen und zerstreute sich schließlich auf 3 Kontinente. Von Babette Goldner haben ich aus dieser Zeit 2 Briefe erhalten, die eindrucksvoll berichten wie die Familie (erfolglos) versuchte sich und ihre Zukunft in Deutschland zu retten.
Besonders der 1930 geborene Ernst litt extrem unter der antijüdischen Stimmung im Jahre seiner Einschulung 1937. Er wurde so schlimm von manchen Kindern malträtiert, dass sich die Eltern nicht anders zu helfen wussten, als ihn nach Kassel in ein jüdisches Waisenhaus zu geben, wo er bis zur Flucht der Familie 1938 unterrichtet wurde. Ernst litt bis zu seinem Tode 2016 sehr unter diesen frühen Kindheitserlebnissen.
Sein Bruder Manfred (geboren 1936) war damals das jüngste Mitglied der Familie Goldner und ist heute (nach aktuellem Wissensstand) der letzte noch lebende vertriebene Gersfelder. Es war Jan Gutermuth vom Rhönklub Gersfeld eine ganz besondere Ehre einen Stolperstein für ihn noch zu seinen Lebzeiten verlegen zu können. Manfred (genannt Fred) konnte zu der Verlegung zwar nicht anreisen, war jedoch von zwei Enkeln und einer Schwiegertochter vertreten, welche eine Live-Schaltung der Zeremonie in die USA ermöglichten.
Andy Pachefsky war es eine besonders große Freude den Stolperstein für seinen Großvater Ernst Goldner eigenhändig in das Gersfelder Straßenpflaster zu legen. Seine Mutter Lori war von der Zeremonie extrem gerührt und brachte ihre Gefühle zum Ausdruck: „Sie findet Gersfeld so wunderschön, die Leute so nett und kann gar nicht verstehen wie an so einem Ort solche Dinge geschehen konnten“.
Die Familie Goldner (die eigens für die Verlegung angefertigte T-Shirts trug), plant außerdem Steine aus der Gersfelder Kaskadenschlucht mit in die USA zu nehmen um diese als Erinnerung an die verlorene Heimat auf die Gräber der verstorbenen Goldners zu legen.
Im Haus auf der anderen Straßenseite lebte ein anderer Teil der Familie Goldner. Lehmann Goldner I betrieb hier mit seinem Bruder Gerson einen Getreide- und Futtermittelhandel. Sie berichteten nach ihrer Flucht davon, wie sie von lokalen NSDAP-Mitgliedern gefangengenommen und zum Erlassen von Schulden verschiedener Parteimitglieder gezwungen wurden. Das Lager des Geschäftes wurde später geplündert und Gerson Goldner kam im Zuge der Novemberpogrome 1938 für einen Monat ins KZ-Buchenwald. Danach konnte die Familie 1939 noch im letzten Moment in die USA flüchten.
Familie Katzmann, die mit ihren 3 Töchtern einen Landmaschinenhandel direkt neben dem Gersfelder Rathaus betrieb, berichtete davon, wie viele Kunden nach der Machtergreifung der NSDAP ihre Raten nicht mehr beglichen und sich teilweise unter Androhung von Gewalt falsche Quittungen ausstellen ließen. Die damals 20 Jahre alte Ruth Katzmann berichtete, wie sie von einem Bauern mit der Mistgabel vertrieben wurde. Die Familie erkannte 1935, dass sie keine Zukunft mehr in Deutschland haben würde und verließ das Land zunächst in Richtung Palästina. Ein Teil der Familie zog später jedoch weiter in Richtung USA. Stephen Feldheim (ein Enkel von Senta Katzmann) war für die Verlegung aus New York angereist und über die Anteilnahme der etwa 30 anwesenden Gersfelder sehr ergriffen. Er hätte mit einer solchen Atmosphäre nicht gerechnet und knüpfte direkt mit mehreren Gersfeldern (und der Familie Goldner) Kontakt.
Keiner der 6 Gäste aus Übersee macht sich (nach eigenen Angaben) mit einem schlechten Gefühl zurück auf den Heimweg in die „neue Heimat“ USA.
In Gersfeld liegen nun insgesamt 63 Stolpersteine und der Rhönklub Gersfeld gemeinsam mit der Stadt Gersfeld möchte mit dem Projekt auch weiter gegen das Vergessen angehen.
Der 88 Jahre alte Manfred „Fred“ Goldner wünschte sich aus der Ferne, dass das Geschehene nicht vergessen werden möge, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Organisatoren hoffen dazu einen kleinen Teil beigetragen zu haben.
Text: Jan Gutermuth
Bilder: Klaus Peter Gutermuth







